---USS MIRAGE / QUARTIER DES CAPTAINS
"Captain...!", stürmte Doktor Basani herein, die kreuz und quer (streng
symmetrisch!) verstreuten karierten Mützen und Hüte auf dem Boden ignorierend (allerdings in seiner Photodatenbank abspeichernd...)
Tommok schaute ungerührt hoch, sein leicht verwühltes Haar wirkte jedoch etwas gehetzt.
"Hier, Sir...", erklärte Basani und zeigte Tommok das Datenpadd.
Tommok zog beide Augenbrauen hoch.
Basani spürte, wie ihm der unbewusst generierte holographische Schweiß die Stirn herunter lief. Er wollte anheben, etwas zu sagen, seine Bitte vortragen, den Captain von der Dringlichkeit überzeugen, seine Entscheidung mit dünnen Worten verständlich machen, doch Tommok kam ihm zuvor.
"Nehmen Sie sich ein Shuttle, Mr. Basani. Falls wir uns so bald nicht mehr wiedersehen, es war mir eine Ehre, bis heute mit Ihnen zusammen zu arbeiten, Doktor. Viel Glück bei der Suche! Ich werde es der Crew und der Sternenflotte erklären."
Basanis Sprachprozessoren stammelten nur ein überwältigtes "Danke, Captain..." hervor.
Tommok nickte ernst und der Holodoc hastete zur Tür hinaus, Richtung Shuttlerampe.
Die Wände huschten vorbei, Quartierstüren, Besatzungsmitglieder, schemenhaft, viel zu schnell, um Abschied zu nehmen...Doch die Zeit drängte...
---
Basani schreckte hoch. Tommoks letzter Blick verblasste in seiner Erinnerung. Seit sechs Tagen ging ihm sein überstürzter Abschied von der USS Mirage nicht aus dem Kopf...
---SHUTTLE
Durch ein kurzes Augenblinzeln strich sich der Doktor die verwühlten holographischen Haare glatt, ein weiteres Blinzeln entfernte die holographischen Augenringe.
Sein nun wieder frisches und jugendliches Gesicht spiegelte sich in der Shuttle-Konsole, auf der das Signallämpchen piepte und blinkte, das ihn aus seinen Erinnerungen gerissen hatte.
"Computer, Sensorencheck. Shuttlestandort bestimmen. Audio-Ausgabe. Einfache Sprache und keine komplizierten Zahlen bitte."
"..."
Der Computer brauchte ein paar Sekunden, um die höhere Mathematik der astronomischchen Daten auf Mediziner-verständliches Federation-Basic
herunterzubrechen:
"Wir sind da!", flötete es dann freundlich und Basani lächelte zufrieden.
"Niemand ist hier!", fuhr der Computer fort und Basanis Lächeln erstarb.
"Sind wir wirklich EXAKT zwischen Gaullesystem und Orly-Ausdehnung?", fragte der Holodoc nach und seine Besorgnis stieg, obwohl sie schon die ganzen sechs Tage lang unerträglich gewesen war.
Immer wieder hatte er seine Emotionsroutinen abschalten müssen, um in seinen Abschiedsbriefen an die Mirage-Crew vor lauter Aufregung nicht zu rührseelig zu werden.
Das Ergebnis war allerdings gewesen, dass die Briefe sehr unterschiedlich emotional geraten waren. So dankte er zum Beispiel seinen besten Freund Ohrosgold'Mahon für die "professionelle, konstruktive Zusammenarbeit", während er Crewman Hm "an sein gebrochenes Herz" "drückte" und noch ein tränenbetropftes "treue Freunde wie uns kann doch niemand nich' trennen!!!"
hinterhergekritzelt hatte...
"Wir sind genau mittendrin!", beantwortete der Computer Basanis Frage.
"Wo ist Starbucks' Schiff?"
"Weiß nich...", mundartete die Computerstimme zurück. "Aber da is' was!"
"Was denn? Bitte etwas präziser!!!!"
Als hätte er nur darauf gewartet, schaltete der Computer seine Sprachroutinen um:
"Subvoluminöses Objekt auf 232 komma 114, Sondenklasse B4, Energieoutput 13 positiv Terrawatt, Distanz 12 Kilometer, minusalterierend..."
"...minus was?"
"Es kommt auf uns zu!!", schaltete der Computer überraschend intelligent wieder zurück.
Doch bevor Basani weitere Fragen stellen konnte, riss plötzlich das schwarze Firnament vor dem Shuttlefenster taghell auf, ein grellblauer Energieblitz griff nach dem Shuttle und in der nächsten Sekunde war das kleine Schiff mitsamt dem überraschtem Doktor im wieder lichtlosen Nichts verschwunden
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"Er ist nicht beschädigt!", hörte Basani kurz eine triumphierende Stimme, dann klingelte irgendwo Geld und er wurde wieder ausgeschaltet.
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"Er muss AN sein, haben Sie gesagt. Dort kennt ihn niemand...", war das nächste, was seine akustischen Rezeptoren registrierten, eher besorgt und nervös, als unfreundlich ausgesprochen. Dann überlastete ein erneuter Lichtblitz - verbunden mit einem sich steigernden Hochfrequenzrauschen - seine Sensoren.
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"FLIP-FLOP!! "
"FLIP-FLOP!!"
"FLIP-FLOP!!"
Basani rappelte sich auf. Und wurde sofort angeschrien, rhythmisch beschimpft, angerempelt, ausgelacht, mit Farbe besprüht, dann von einem dunkelblauen Fleischklopps in Sicherheit gezogen und hinter einen metallenen Absperrzaun geworfen.
"FLIP-FLOP!!", brüllte die skandierende humanoide Menge irgendwo hinter den breitschultrigen Rücken der mit den Buchstaben "NYPD" beschrifteten Uniformierten.
Basani schloss die Augen, um wenigstens EINEN seiner überforderten Sinne zunächst auszuschalten. Ergebnislos versuchte er, seine Akustikrezeptoren an den Geräuschpegel anzupassen, der Grundlärm um ihn herum lag etwa 200mal höher als auf der Krankenstation der USS Mirage.
Wo zum Q war er??
Er brauchte Informationen!
Basani schaltete kurzerhand seine Ohren "aus" und öffnete die Augen.
Auf diesen Moment schien ein Mensch mit länglichem Stoffstreifen am Hals nur gewartet zu haben. Er gab seine stehende Position an der Wand auf und faltete im Davongehen ungeschickt ein übergroßes Papiergebinde zusammen.
Einer der Papierteile rutschte ihm dabei unbemerkt aus den Händen und landete dramaturgisch brilliant vor Basanis Füßen.
"New York Times. Donnerstag, 2. September 2004", las der Holodoc, denn die entscheidenden Informationen lagen natürlich oben.
Die nächsten 4 komma 15 Sekunden lang machte Basani das übliche Gefühlsbad durch, dass bei "analogen" organischen Wesen meist etwa eine Stunde dauerte...
"Ein Zeitsprung!!!"
"Faszinierend!!"
"Aber komm ich je zurück???"
"Ich darf nichts tun!!"
"Ich könnte die ganze Geschichte verändern!!"
"ICH BIN WICHTIG!!!"
"Egal..."
"Wie warn damals noch gleich die Lottozahlen???!"
Dann hatten Basanis logische Routinen die Situation verarbeitet und die niederen Instinkte unter Kontrolle, die ihm sein organischer Schöpfer, Dr.
Fahir Basani, mitprogrammiert hatte.
Und jetzt kamen ihm die wirklich wichtigen Fragen in den Sinn:
Wie war er hierher gekommen??
Hatte man sein Shuttle absichtlich zu jener Sonde gelockt, die ihn offenbar hier her gebracht hatte? Was sollte er hier tun?
Wer steckte dahinter?
UND WIE WARN DAMALS NOCH GLEICH DIE LOTTOZAHLEN???!
Der Holodoc richtete sich jetzt vollständig auf und schaltete alle seine Sinne ein.
"FOUR MORE YEARS!!", brüllte die von den Uniformierten in Schach gehaltene Menge gerade und Basani warf einen zweiten Blick auf die "New York Times.
Donnerstag, 2. September 2004." am Boden:
"PROTESTWEEK!", stand dort in großen seriösen Buchstaben. Offenbar war er in eine Art Demonstrationsveranstaltung geraten.
"FLIP-FLOP! FLIP-FLOP", schallte es herüber.
Basani aktivierte seine Datenbanken.
"Flip-Flop: Preisgünstiges, aber nicht immer trittsicheres leichtes Schuhwerk früherer Epochen."
Das erklärte alles! Ein Aufstand der Schuhindustrie! Oder zumindest ein Protest ihrer Kunden... Basani hatte schon davon gehört, dass in früheren Jahrhunderten vor allem die weibliche Menschheit große Teile ihrer Freizeit in kommerziell ausgerichteten Schuhgalerien mit Soforterwerb verbracht hatte.
Der Holodoc hoffte sehr, dass er nicht wegen eines Textildisputes in diese Zeit geschickt worden war, schliesslich prallten Modegeschmack und Kleiderordnungen an seinem holographisch erzeugten Outfit naturgemäß ab.
Noch in Gedanken schlenderte Basani die enge Gasse herunter, zwischen schwarzen Müllsäcken und unter schwarzen Metallleitern an den Häusern hindurch.
Der Lärm der Menge hinter ihm verlor sich im Lärm der Stadt und Basanis Rezeptoren registrierten allerlei neue, faszinierende Details. Zum Beispiel heulten in regelmäßigen Abständen langgezogene Sirenen auf, offenbar eine Art Zeitansagesystem nach dem Prinzip prähistorischer Kirchturmuhren...
Die Strassen der Stadt waren statt mit Namen mit linear aufsteigenden Zahlencodes versehen, dazu noch erstaunlich eng und erstaunlich symmetrisch.
Basani fiel ein, in einem Essay über die Geschichte von Synthehol etwas vom Typ des "spätheimkehrenden männlichen Alkoholikers" gelesen zu haben, den es vor der Abschaffung des öffentlichen Alkoholausschankes im Jahre 2079 angeblich in großer Zahl auf der Erde gegeben hatte.
Vielleicht waren diese engen gerade Strassen als Orientierungshilfe für diesen - wie es in dem Aufsatz geheißen hatte: "oftmals unter Verlust des Geradeausbewusstseins leidenden" Zeitgenossen angelegt worden.
Basani erreichte jetzt eine große Strasse, die streng gezirkelten Hochhäuser waren weiter auseinandergetreten. Eine hektische Menge hastete durch die Strassen, Fahrzeugschlangen schoben sich abwechselnd in die eine oder andere Richtung, dazwischen kommandierten pfeifende Beamte (sie trugen einen phosphoriszierenden "Traffic-Police"-Aufnäher und Trillerpfeifen) das Treiben mit sinnlos wirkenden Gesten - ohne einen sichtbaren Effekt.
Basani fiel auf, dass die Fahrzeugschlangen stets von einem Plot von gelben Vehikeln angeführt wurden. Sie waren mit "Taxi" beschriftet. Basani sah ihnen eine Weile interessiert nach. Er hatte schon einmal gehört, dass in früheren Zeiten die Wirtschaft auf der Erde nur mithilfe von Steuern funktioniert hatte. Offenbar waren dies die Steuereintreiber...
"Hey you-guy!! ", wurde Basani plötzlich von einem breitschultrigen schwarzhäutigen Passanten geknufft, dem er offenbar im Weg stand. Drei Minuten lang verfolgte Basani atemlos (wie sonst...) den melodisch vorgetragenen Beschwerdetanz, vor allem das Muster der begleitenden Armbewegungen war aus sportmedizinischer Sicht höchst beeindruckend. Zumal der Mann es in einem knielangen, völlig überproportionale dimensionierten Stoffsack ausführte.
Fahir beschloss, den Mann nicht weiter zu reizen. Er schaltete seinen physischen Modus um und trat kurzerhand durch ihn hindurch, damit er seinen Weg ungehindert fortsetzen konnte.
Der Sprechgesang des Mannes verstummte. Dann verzog der Tänzer den Mund zu einem Grinsen. Und plötzlich schlug er nach Basani. Der Holodoc reagierte schnell und parierte die erst einhändig, dann zweihändig, mal mit geschlossener Faust und mal mit flacher Hand ausgeführten Angriffe.
Erstaunlicherweise leuchteten die Augen des Schwarzhäutigen begeistert, es schien ihm gar nichts auszumachen, dass Basani seine Hände bei jedem Schlag klatschend abwehrte. Er stellte seine Angriffe ein, beschimpfte Basani noch ein bisschen und verschwand dann in der vorbeitreibenden Menge.
Nicht unzufrieden mit dem glimpflichen Ausgang der Begegnung schlenderte das MHB weiter durch die überlaufenen Häuserschluchten, und plötzlich sah er das grüne Schild!!
Die Gestalt des Holodoktors erstarrte, kein Zweifel!! Das konnte kein Zufall sein.
Basani eilte zur Tür hinein, einen seltsamen kurzen roten Lichtblitz in der Tür ignorierend. Drei herauskommende Frauen retteten in letzter Sekunde ihre am ehesten noch nach Kaffee duftenden Pappbecher...und riefen dem Hereinstürmenden einige überraschend eindeutige Geschlechtsverkehraufforderungen zu!
Doch Basani überhörte sie. Seine Emotionsroutinen überschlugen sich gerade, als er an einer Art Ausschanktheke stand. Hinter dem freundlich lächelnden Mann an der Theke leuchtete ein weiteres der runden grünen Schilder mit der weißgrauschwarzen Schrift.
"Gtntag.", sagte Basani vor Aufregung viel zu schnell, "Mchmtstrbksprchn!"
"Excuse me...?", fragte der ?Beamte? verwirrt nach.
"Ich möchte mit Starbucks sprechen!!", wiederholte Basani langsamer.
Verwirrtes Umgucken war die Reaktion, doch Basani durchschaute das falsche Spiel!!
"Ich will SOFORT mit Starbucks sprechen!! Er hat meinen Sohn entführt!!!", rief er und in seiner Hand erschienen ein Förderationsphaser und ein giftgrünes Hypospray. Mit schnellen Bewegungen ließ das MHB zwei Lichtblitze durch den Raum schießen und funkelte den Schalterbeamten dann gefährlich und entschlossen an:
"Wo...ist ... mein ...Sohn!?"
In einen Teil der umsitzenden Gäste kam Bewegung, einige sprachen in Miniaturgeräte in ihrer Hand, andere lösten mit kleinen Metallapparaten Blitze aus, drei Frauen sahen von bunten Papierbüchern hoch und riefen:
"Hierher!! Entführ MICH, mächtiger Marsmann!!".
Ein alter Mann schob Basani mit seinem Krückstock zur Seite und sagte
ungerührt: "Einen Milchkaffee mit Karamel und zwei Muffins, Blaubeere."
Basani spürte, wie ihn die Situation überforderte, möglicherweise hatte er etwas vorschnell gehandelt...
"Folgen Sie mir bitte...", sagte der Thekenbeamte glücklicherweise plötzlich und führte Basani in einen Nebenraum. Hier liess er ihn einige Minuten mit Prospekten und einer Auswahl an Aufklebern und Stickern allein. Die nähere Lektüre brachte Basani zu der Überzeugung, dass der Entführer seines Sohnes im New York des 21. Jahrhunderts eine sehr erfolgreiche Tarnfirma im Aufputschmittelgewerbe führte.
Die Tür öffnete sich und ein hyperaktiver junger Mann mit Firmenmütze und grünem Halsstoffstreifen kam herein.
"Hallo Mr., ich bin Key Account Chief Sells Assistant Manager Steven C.
Miller, Angestellter der Starbucks US Incorporation, was kann ich für Sie tun..."
"Lassen Sie das Schauspiel!", fuhr ihn Basani an und zückte seinen Phaser, zu ungeduldig und überfordert, um diplomatisch vorzugehen.
Die Freundlichkeit des Mannes verschwand, Furcht trat in seine Augen:
"Sind Sie von Al Qaida?"
Basani blinzelte - schon wieder überfordert.
"Ich kenne keinen Al."
Der Mann wirkte sichtlich erleichtert.
"Ich war ja sowieso gegen den Krieg...Alles Bushit". Er zwinkerte vielsagend...und warf einen verschwörerischen Blick auf Basanis Bauch.
Basani folgte dem Blick irritiert und erblickte zum ersten Mal die Aufschrift auf seinem T-Shirt: "HEAL THE WORLD!! Medicines for Kerry."
So langsam ging ihm der Speicherplatz für all die verwirrenden Ereignisse aus.
Zeit für ein paar Antworten!
"Hören Sie, Key...", begann er, seinen Gegenüber leutseelig beim Vornamen nennend, "wissen Sie, wo Starbucks ist?"
Der Mann guckte äußerst überzeugend verwirrt drein. Scheinbar war er sehr hart ausgebildet worden.
"Wie Sie wollen.", schimpfte Basani - voller Sorge um seinen Sohn, den er seit knapp zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Mit einer blitzschnellen Bewegung injizierte Basani dem verstockten Handlanger von Starbucks ein Hypospray und wartete dann geduldig die Wirkung des Wahrheitsserums ab.
"So. Dann noch mal von vorn: Wo ist Starbucks!"
"Hier.", kam die Antwort.
"Aha! Heisst das, SIE sind Starbucks?"
"Wir alle sind Starbucks, entscheidend ist das Team!"
"Es stecken also mehrere hinter dieser Sache?"
"MEIN Erfolg ist UNSER Erfolg."
"Dieser Kaffeeverkauf ist nur Tarnung, richtig?"
"Natürlich, Starbucks ist MEHR als nur Kaffee..."
"Was steckt noch dahinter?"
"Kaffee ist eine ganze Philosophie!"
"Gut, dass Mr. tom Broek nicht hier ist...", murmelte Basani in sich hinein und setzte das bisher wenig ergiebige Verhör fort.
"Wo ist mein Sohn?"
"Ich weiß es nicht. Aber wir haben über 200 Filialen in New York..."
"Wer hat mir die Nachricht über die Entführung meines Sohnes geschickt!?"
"Kommunikation ist alles bei Starbucks..."
"Warum haben Sie mich durch die Zeit zurück geschickt?"
"Zeit für Kaffee - Zeit für Starbucks!!"
"Kann es sein, dass Sie überhaupt keine Ahnung haben, wovon ich rede?"
"Sie sind der Kunde - Sie haben immer recht."
Basani brach das Verhör enttäuscht ab.
Entweder war dieser Mann ein anhnungsloses kleines Rädchen, oder diese seltsame Firma hatte wirklich nichts mit jenem "Starbucks" zu tun, der ihm vor 6 Tagen (genauer gesagt IN knapp 400 Jahren...) eine verschlüsselte Nachricht auf die Mirage gesandt hatte:
"Doktor Basani! Ihr Sohn ist in meiner Hand! Fliegen Sie zu folgenden Koordinaten zwischen dem Gaulle-System und der Orly-Ausdehnung, in 6 Tagen, allein!! Oder Ihr kleiner Nachkömmling stirbt ... Ich werde Sie finden.
Starbucks."
Als Beweis für die Entführung hatte der Schreiber ein Foto von Basanis Sohn und diverse technische Daten beigefügt. Basani hatte wenig Zweifel, dass diese Daten nur direkt von seinem Sohn stammen konnten. Und das Foto war echt.
Fahirs Emotionsroutinen hatten ihren Dienst versagt, als er seinen Nachkömmling erblickt hatte. Vor knapp zwei Jahren hatte er ihn mit einem Sternenflottenschiff, dass die USS Mirage getroffen hatte, zur Erde geschickt. Der Flug der Mirage durch den Weltraum war ihm zu gefährlich erschienen. Es war das beste für seinen halborganischen Sohn, er brauchte Wissenschaftler und Ärzte, die sein Aufwachsen begleiteten.
Die Fragen der Besatzung nach der Trennung von seinem Sohn hatte das MHB abgewunken, sie dachten alle viel zu menschlich. Er spürte keine wirklich familiäre Bindung zu "seinem" Kind. Außerdem hätte ihn ein solches Gefühl sicher in seiner Arbeit behindert...und das war viel zu gefährlich für die Mirage.
Basani war daher froh, dass er keinen der vielen Briefe des medizinischen Zentrums in Delhi gelesen hatte, auch die Bild- und Videobotschaften der Betreuer seines Sohnes hatte er wohlweislich gelöscht. Er durfte kein Risiko eingehen. Schon allein der Mirage-Besatzung war er es schuldig, bei seiner Arbeit immer klaren Kopf zu behalten.
Und dann das plötzliche Foto! Der vorübergehende Kollaps seiner Emotionsspeicher zeigte doch, wie gefährlich eine nähere Beschäftigung mit seinem Sohn gewesen wäre!!
Natürlich, war es jetzt seine Pflicht, seinen kleinen Sohn aus der Hand von Entführern zu befreien. Doch danach würde er den Kontakt wieder abbrechen.
Zum Wohle aller...
"Möchten Sie eine Starbucks-Kundenkarte?", durchbrach "Key" das Schweigen.
Das MHB antwortete nicht und ließ den Mann stehen.
"Ihr Sohn bekommt mit Ihrer Karte 50 Prozent Rabatt!", rief es noch, dann war Basani zur Tür raus, eilte durch den "Schankraum", wollte auf die Strasse hinaus, doch ein lauter Ruf von dort hielt ihn auf: "DOKTOR!!!"
Der Ruf kam von einer völlig verlumpten Gestalt, mit einem zerknautschten, schätzungsweise vor drei Jahren erworbenen Kaffeebecher in der Hand. Der Blick des unrasierten Mannes, dessen Kleidung eher aus Verpackungsmaterial, denn aus Stoff bestand, traf Basani direkt in die Augen.
Basani kannte den Mann nicht, und inzwischen hatte dieser seine Augen wieder gesenkt. Er torkelte auf das Starbucks-Haus zu, aus dem Basani gerade heraustreten wollte. Basani zögerte, doch der Mann genauso, schließlich schritt der Holodoc entschlossen durch die Tür, der Mann beschleunigte ebenfalls - und kurz schoben sich ihre beiden Gestalten eng aneinander vorbei. Basani spürte, wie ihm etwas in die Hand geschoben wurde, gleichzeitig flüsterte eine klare Stimme: "Schauen Sie auf Ihr T-Shirt!! In zwei Stunden!!"
Dann waren sie aneinander vorbei und Doktor Basani stand wieder allein auf der übervölkerten, lärmenden Strasse. Aufgeregt öffnete er seine Hand und las die wenigen, hastig in Federationbasic verfassten Zeilen:
"Doktor Basani, Ihr Sohn ist hier! Wenn Sie ihn wiederhaben wollen, müssen Sie uns helfen!! Wir brauchen ihren medizinischen Rat! Die bisher getroffenen Maßnahmen waren nötig, um ein wichtiges Leben zu retten. Bitte erscheinen Sie um...."
Hier endete das Geschriebene, offenbar war der Verfasser nicht fertig geworden. Aber Basani vermutete, dass er den Rest der Botschaft eben mündlich gehört hatte.
Das Geräusch kreisender Rotorenfluggeräte mischte sich unter den Straßenverkehr, religiöse Beschwörungen verschiedener Sektenanhänger hallten durch die Häuserschluchten, fremdartige rhythmusbetonte Musik drang aus offenstehenden Hauseingängen und Fahrzeugfenstern, Sirenen heulten, Trillerpfeifen schrillten und millionenfache Schritte ließen den Asphalt dieser riesigen Stadt erbeben - doch Basani fühlte sich zum ersten mal nicht mehr völlig verloren.
Endlich ergaben die Ereignisse so etwas wie einen gewissen Sinn. Man hatte ihn in die Zeit zurückgeschickt, um einen Menschen zu behandeln? Ihn zu retten? Weil er mit der Medizin des 21. Jahrhunderts sterben würde?
Vermutlich....
Ganz sicher fiel dies unter die Kategorie: "Ich darf nichts verändern!" Und offenbar benutzte man ihn, gegen seinen Willen. Und seinen Sohn ebenfalls.
Dennoch tat es gut zu wissen, dass hinter alle dem ein Plan steckte.
Die weiteren Worte des Fremden fielen ihm wieder ein. Erneut musterte er das T-Shirt, dass ihm offenbar jemand vor seinem Zeitsprung angezogen hatte.
"HEAL THE WORLD. Medicines for Kerry."
Unter den großen Buchstaben bemerkte Basani erst jetzt den kleinen Schriftzug "Medicines4K - Treffen Sie uns im Medicines Square Garden."
Eine Adresse stand nicht dabei, aber die Menschen hier schienen Basani plötzlich noch um ein Vielfaches freundlicher. Fast schon euphorisch hielt das MHB einige Passanten an, beschimpfte sie herzlich und fragte sie dann nach dem Weg zum "Medicines Square Garden."
Nach einigen wiederum abgewehrten Schlägen - dieses mal etwas unfreundlicher, aber vielleicht erschien es ihm nur so - bekam er eine Auskunft.
Und so wusste er nun auch, dass es einen ähnlich klingenden "Madison Square Garden" in der Stadt gab, der wohl recht berühmt war und zur Zeit entweder von "Rettern des Landes", "religiösen Fanatikern", "tadellosen Patrioten", ""konservativen Faschisten", "bös verleumdeten guten Familienvätern", "Kriegstreibern", "entschlossenen Terrorismusbekämpfern", "diesen Ölbonzen", "wahren Amerikanern" oder dem "alten machtgierigen Bush-Clan" gemietet worden warm, die Befragten hatten diesbezüglich recht widersprüchliche Angaben gemacht...
Der "Medicine Square Garden" dagegen war allgemein gut angesehen, eine Art Gesundheitsklinik in der ...
--- .5TH AVENUE
"34. Strasse, Ecke 5. Avenue...", murmelte Basani vor sich hin und seine Augen wanderten die Straßenschilder entlang. Es konnte nun nicht mehr weit sein. Nach einer kurzen Verzögerung (eine Gruppe gelbgekleideter, mit Theaterblut besprenkelter Asiaten hatte darauf bestanden, ihm "Falung Gong"
zu erklären, offenbar eine antiquierte asiatische Kampftechnik...) - stand das MHB an der beschriebenen Straßenkreuzung.
Basanis Augen suchten nach einem Zeichen für den Eingang zum "Medicine Square..."-Center...und dann sah er es! Ein großes gelbes M auf rotem Grund.
Es war nicht zu übersehen.
Der Holodoc trat erwartungsfroh ein, wobei er sich alsbald über die von den Menschen herumgetragenen Ernährungsprodukte in diesem Gesundheitszentrum wunderte. Sie waren schon ohne weitere Analyse - rein optisch - als überaus ungesund erkennbar. Aber sicher wurden die Probanden für ihre Teilnahme an diesem medizinischen Ernährungstest ausreichend entschädigt.
Basanis Frage nach der Initiative "Medicines for Kerry" löste nur eine Reihe seltsamer Nachfragen aus: "Als Menü?" "Ketchup oder Majo?" "Zum Mitnehmen oder hier essen?"
Möglicherweise eine Art Code. Fahir verteilte seine Antworten möglichst statistisch gleichförmig und erhielt ein Tablett, randvoll mit Testprodukten. Außerdem wiederholte die Ernährungsberaterin hinter der Theke immer wieder eine Zahl, wobei sie mit jedem Male vorwurfsvoller klang.
Basani verstand nicht, was die Frau mit dem freundlichen M auf der Mütze von ihm wollte, zumal er die Testprodukte noch gar nicht angerührt hatte, also noch keine Angaben zu seinem Eindruck machen konnte.
Schließlich kopierte er einfach das Verhalten eines Nebenstehenden und generierte ein paar Metallplaketten zwischen seinen Fingern. Nachdem er der Frau einige davon gegeben hatte, war sie zufrieden und warf die Plaketten in ihren Auswahlkasten. Kurz schaute sie zwar irritiert, weil im Gegensatz zum Nachbarschalter, das hereingeworfene Metall keinerlei Geräusch auslöste!
Doch die Schublade war schon geschlossen und offenbar wollte oder konnte sie sie so schnell nicht wieder öffnen.
Basani griff sein Tablett und setzte sich an einen Tisch. Aus reiner Neugier biss er in eins der pappigen teigumhüllten Fettfleischkonglomerate. Der ungesunde optische Eindruck bestätigte sich, aber Basani wusste ja nicht, auf welche Anwendungsgebiete sich diese Ernährungsstudie bezog.
Möglicherweise ging es um eine Art Viehhaltung oder Säugetiermast. Dafür waren diese vitaminbereinigten Kohlenhydratkonzentrate durchaus geeignet.
Einige Minuten lang vertrieb sich Fahir die Zeit noch mit der Analyse der Produkte, das gesündeste von allem war das Kunststofftablett. Eine billig herzustellende, stabile Aufbewahrungslösung, die bei Menschen keinerlei ernste Gesundheitsschäden hervorrief. Aber Basani war nicht sicher, inwieweit dies für die Studie relevant war.
Schließlich waren die zwei Stunden, von denen der Fremde gesprochen hatte, fast abgelaufen. Das MHB schaute sich nervös um. Es gab keiner Hinweise oder Ansagen, wo sich die Initative "Medicines 4K" versammelt hatte. Und Nachfragen unter den Essprobanden lösten erneut nur verwirrende Selbstbefriedigungsaufforderungen aus, für deren Entschlüsselung Basani momentan die Zeit fehlte.
Kurz entschlossen eilte er deshalb durch eine Drehtür, in eine Art Küche, in der kubikmetergroße Beutel voller gefrorener weißer Kunststoffbällchen mit "Brötchen" beschriftet waren. Ein 2x4 Meter grosser Quader einer schwarzen, undefinierbaren Masse war als "Beef" deklariert, mehr konnte Basani nicht genau erkennen, da er eilig durch die nächste Tür wieder hinaus spazierte.
Nach mehreren Rufen und Nachfragen generierte er sich noch eine der rotgelben "M"-signierten Uniformen, die die Ernährungsberaterinnen getragen hatten und lief nun weitgehend unbehelligt durch das verwinkelte Haus.
Schließlich hatte er sämtliche Türen und Räume erkundet, es blieb nur noch ein Übergang ins Nachbarhaus, über zwei der weit verbreiteten schwarzen Metallleitern an den Hausfassaden.
Im Nebenkomplex angekommen, ein recht hohes Haus, öffnete Basani mehrere Türen, durchquerte einige möblierte, aber verlassene Büros und Räume, benutzte einen Fahrstuhl, begegnete winkenden Touristengruppen, durchquerte noch mehr verlassene Büros, benutzte erneut einen Fahrstuhl, stieg Treppen hinauf, fuhr ein drittes Mal mit dem Lift nach oben und sah schließlich die Tür - mit dem "Medicines for Kerry"-Schild.
Ohne Klopfen trat er ein.
---HOCHHAUS-BÜRO
Die Stimmen waren abrupt verstummt, doch die Stille währte nicht lang.
"Endlich!!", stöhnten mehrere der Anwesenden erleichtert auf.
Basani sah sich in dem Raum um, und das erste was er wahrnahm war die Aussicht!!
Hinter einem riesigen Panoramafenster strahlte die untergehende Sonne. Der wolkenverschleierte Himmel glühte in allerlei rötlichen Farben und tief weiter unten erstreckte sich die dunkle Masse der Stadt. Gerade funkelten einige wenige Fenster als Lichtpunkte im Häusermeer, doch mit jeder Sekunde flackerten mehr Fenster auf, das nächtliche New York erwachte.
In den Schluchten zwischen den Häusern flitzten zehntausende blinkende Fahrzeuge umher, Menschen waren aus dieser Höhe nicht zu erkennen, doch der undefinierbare Lärm hinter der Glasscheibe ließ das pulsierende Leben erahnen.
Ein silbrig-golden glänzender Wasserstreifen umfloss die Stadt, kleine Bote waren zu erkennen, am Himmel kreisten Rotorenflugzeuge und Wasserstoff-Ballons. Im Minutentakt erhoben sich am Rand der Stadt blinkende Flugschiffe auf schrägem Kurs in die Luft Richtung Orbit. Oder zumindest in die Richtung...
Nachdem er die Eindrücke verarbeitet hatte, musterte Fahir nun auch das Innere des Raumes, in dem er sich befand. Neben einem riesigen gemütlichen Konferenztisch mit 15 Polsterstühlen standen deplaziert wirkende Laborgeräte, Computeranlagen und weitere unbekannte Technik herum. Die in warmen Farben bemalten Wände waren mit einer Reihe von Schriftstücken und diversen "New York-Times"-Papierblättern dekoriert.
Etwa 12-13 Personen waren anwesend. Und auch wenn sowohl die Technik, als auch die Kleidung und Frisuren dieser Menschen dem MHB komplett fremd oder zumindest altertümlich vorkamen, so fühlte er doch die bisher stärkste Vertrautheit mit einem Ort, seitdem er durch die Zeit gesprungen war.
"Hallo Dr. Basani...", begrüßte ihn ein älterer Mann mit Vollbart und nervösen, aber offenherzigen Augen. "Ich bin Dr. Menck. Das hier sind meine Kollegen vom ,Times-Club'".
"Guten Tag.", erwiderte Basani vorsichtig. "Sie kennen mich?"
"Wir erwarten Sie sehnsüchtig, Doktor!", riefen die Anwesenden durcheinander, einige von ihnen stellten sich namentlich vor, alle Namen begannen mit "Dr." oder "ProfessorIn"...
"Ruhe bitte, meine Damen und Herren...", rief Dr. Menck, "die Zeit läuft uns davon."
Kurz gab es vielsagende Blicke, die irgendwas mit Dr. Mencks Formulierung zu tun zu haben schien, dann wurde es still.
"Doktor Basani. Zunächst einmal möchte ich mich entschuldigen!", begann Dr.
Menck, und seine nervös zitternden Augen öffneten und schlossen sich rhythmisch. "Wir haben Sie ja quasi entführt. Und Ihren Sohn auch."
Basani wollte seine Augen auf böse guckend umstellen, beschloss aber, die Energie zunächst noch zu sparen, vielleicht brauchte er sie gleich noch für einen umfassenden Wut- und Gewaltausbruch.
"Glauben Sie mir, wir wussten uns einfach keinen anderen Rat, um sie hierher zu bekommen. Wir brauchen Ihre medizinische Hilfe! Und wir waren froh, dass es uns überhaupt glückte, einen Kontakt in die Zukunft herzustellen! Wir haben versucht, so wenig wie möglich Spuren zu hinterlassen! Und eigentlich wollten wir nur eine medizinische Information, wie wir Herrn Clinton retten können. Doch dann erfuhren wir von Ihnen. Sie sind nicht organisch, der Transfer konnte also gelingen...außerdem verfügen Sie über eine historische Datenbank, so dass wir..."
"Ein Herr ,Clinton' ist ihr sterbender Patient?", unterbrach Basani halb neugierig, halb zutiefst geladen.
"Ja. Er war einmal Präsident in dieser Zeit. Doch jetzt hat ihn eine seltene Krankheit erfasst, wir können nichts tun."
Basani berechnete schon mal die Menge an Hypospray-Serum, die er generieren musste, um diese 13 Clubmitglieder außer Gefecht zu setzen, zwang sich aber noch zum ruhigen Nachfragen:
"Sie holen mich zurück, weil sie eine Krankheit nicht heilen können?? Soll ich jetzt vielleicht dreimal täglich kommen??? Selbst in unserer Zeit gibt es Krankheiten, die wir nicht heilen können. Wir akzeptieren das...und pfuschen nicht in der Zeitlinie herum."
"Bill Clinton ist kein normaler sterbender Mensch, Doktor. Er ist der Mann von Hillary Clinton. Der möglichen ersten Frau an der Spitze des derzeit mächtigsten Staates der Erde."
Basani verzog das Gesicht. Wenn es noch einen Zweifel gegeben haben sollte, dass er in einem veralteten Jahrhundert der Menschheitsgeschichte gelandet war, dann hatte ihn dieses Gerede von einem "mächtigsten Staat der Erde"
eben ausgeräumt.
"Wenn ihr Mann stirbt, wird sie in 4 Jahren nicht für das Präsidentenamt kandidieren, Doktor!"
"Woher wollen Sie das so genau wissen? Die Zukunft steht nie genau fest."
"Aber die Vergangenheit, Doktor Basani! Durchsuchen Sie ihre Datenbank...bitte. Suchen Sie nach dem Namen Hillary Clinton."
Mehr aus Unmut, weniger zu wissen als die Anwesenden - als aus echtem Willen zu helfen, initiierte das MHB einen Suchdurchlauf in seiner historischen Datenbank.
Eine Weile wurde es knisternd still im Raum. Dann zuckten Doktor Basanis Wimpern und ein triumphierendes Lächeln begleitete seine Worte: "Hillary Clinton! Erste Präsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika. Sehen Sie!!
Sie ist es geworden, Sie haben mich umsonst entführt."
"Aber Doktor Basani...", Menck wurde jetzt noch nervöser, "...lesen Sie weiter, wann ist Ihr Mann gestorben, Bill Clinton?"
Basanis Augen flackkerten kurz, dann hatte er das Ergebnis. "Bill Clinton, verstorben am 3. Juni 2026."
"Sehen Sie, Doktor Basani! Er starb nicht im September 2004!! Doch ohne ihre Hilfe wird er es!"
Basani schwieg, schaltete seine Logikroutinen auf volle Leistung und initiierte sicherheitshalber alle seine Ethiksubroutinen. Dann gab er sämtliche bisherige Informationen ein, die er hatte, verrechnete die Handlungsoptionen mit alle gültigen Sternenflottenvorschriften und kam schließlich zu einem Ergebnis:
"Möglicherweise haben Sie recht und ich tue hier nur etwas, dass bereits in der Zeitlinie vorgesehen ist. Aber das ist keinesfalls sicher. Bringen Sie mich zu ihm!"
---N.Y. 2004 / NÄCHTLICHE STRASSEN
Die Fahrt durch das Lichtermeer war durchaus aufregend, trotz der komplizierten Gedanken, die Doktor Basani beschäftigten. Und ganz nebenbei stieg seine Anteilnahme für die Menschen, die in diesem Jahrhundert leben mussten.
Aus der Audiowellenanlage des "Auto" (den Namen hatte ihm Dr. Menck genannt) war eine Art aktueller Nachrichtenfunk zu hören. Offenbar plagte sich die Erde gerade mit Kriegen, Terrorismus und einer Basani nur dem Namen nach bekannten Krankheit namens AIDS (für die sogar ein Aktionstag im Jahr veranstaltet wurde und die Menschen solidarische Spenden-Schleifenbänder erwarben).
Außerdem fürchteten sich die Erdenbewohner vor einem kaum zu bändigenden sogenannten Treibhauseffekt, den die Techniker und Wissenschaftler der USS Mirage sicher in der Mittagspause neutralisiert hätten.
Gerade zur Zeit verwüstete eine Hurrikan namens "Francis" einen Teil dieses Kontinents, hieß es in den Audionachrichten. Einige zeitgenössische Wissenschaftler vermuteten auch schon ganz richtig, dass die Häufigkeit solcher verheerenden Stürme direkt durch den Treibhauseffekt stieg. "Charly ", "Francis", "Ivan" ... Basani glaubte zu verstehen, warum die Menschen diesen Stürmen Namen gaben. Sie wirkten dadurch vielleicht ein kleines Stück weniger unbeherrschbar und beängstigend...
"Dort ist es!", riss Dr. Mencks Stimme das MHB aus seinen Gedanken.
---N.Y.-HOSPITAL
"Was wissen Sie bereits über diese Krankheit?", fragte Dr. Basani, während er das Bett mit dem bewusstlosen grauhaarigen Kranken umrundete.
"Wir vermuten eine äußerst seltene Geschlechtskrankheit...", erklärte eine Begleiterin von Dr. Menck, Dr. Liwensky.
"Eine Geschlechtskrankheit?? Wie kommen Sie denn darauf?"
"Nun ja...", Dr. Menck und Dr. Liwensky warfen sich verlegene Blicke zu.
"...er war ... ich meine - er IST für seinen sexuell offenen Lebenstil bekannt..."
"Ich denke, er war ihr Präsident!?", fragte Basani nach.
"Beides.", bestätigte Dr. Menck knapp.
Basani speicherte auch diese Information unter "Kurioses" ab und untersuchte den Patienten mithilfe seiner akustischen Rezeptoren und der vorhandenen medizinischen Geräte so gründlich wie möglich. Natürlich war das nicht besonders präzise, aber es genügte:
"Sie haben recht! Sein Hormonhaushalt ist völlig durcheinander. Er wird das nicht lange überleben. Und diese Werte hier sehen so aus..."
Basani zögerte, denn das konnte ja wohl kaum sein...
"Sagen Sie, hatte dieser Mr. Clinton mal irgendwelche seltsamen Erlebnisse...Wochen, Monate, in denen er unauffindbar war, oder Kontakt zu etwas, von dem sie sagen würden, es war vielleicht nicht von dieser Welt..."
"Worauf wollen Sie hinaus, Doktor Basani!?"
"Nun...", Basani beschloss, nicht mehr Informationen preiszugeben, als unbedingt nötig, denn bisher hatten Dr. Menck und seine Freunde ja nicht direkt davon gesprochen, dass ihnen die Existenz extraterrestrischen Lebens bekannt war.
"Derartig veränderte Hormonwerte habe ich bisher nur bei einem...äh...exotischen Volksstamm gesehen, der alle paar Jahre eine sexuelle besonders aktive Zeit durchmacht...Der Zustand nennt sich Pont Farr... Und es ist bisher nicht ganz sicher, ob es für Menschen ansteckend ist...Könnte Mr. Clinton mal Kontakt zu einem so...weit entfernt lebenden Volk gehabt haben?"
"Nun, er kam als Präsident viel herum. Aber eigentlich war er nie allein dabei...Können Sie es heilen, Doktor Basani?"
"Richtig, das ist die wichtigste Frage. Ich kann seinen Hormonhaushalt ausgleichen, allerdings muss die Bildung von Testosteron und einiger anderer Hormone dauerhaft unterbunden werden, damit die sexuelle Überkapazität und die daraus folgenden synaptische Überlastung nicht wiederkehren. Gut, dass Mr. Clinton schon eine Frau hat."
"Wie meinen Sie das, Doktor?"
"Nun, nach der Behandlung wird er kaum noch Lust haben, sich eine neue zu suchen. Seine Libido sinkt so gut wie auf 0..."
"Wenn es nicht anders geht..."
Basani nickte, kombinierte ein paar der vorhandenen Geräte, modifizierte möglichst schlecht einsehbar die altertümlichen medizinischen Scanner und zentrifugierte aus den recht gut sortierten Medikamenten des Hospitals ein paar wirksame Hormonblocker.
Als er bereit war, trat er an den Koma-Patienten heran, tat so, als würde er beginnen und drehte sich dann zu Dr. Menck um: "Wo ist mein Sohn!! Ich werde niemanden behandeln, bevor Sie ihn nicht freigeben."
Doktor Mencks nervöses Augenzucken verstärkte sich wieder, als er verständnisvoll nickte:
"Ich verstehe ihre Forderung, Doktor, und glauben Sie mir, wenn es möglich wäre, wäre ihr Sohn jetzt schon hier bei Ihnen. Leider können wir ihn aber momentan nicht aus seinem ...äh...Versteck...holen. In etwa 3 Stunden haben wir Zugang zu ihm, dann werden wir ihn befreien. Ich bitte sie inständig, mit der Behandlung zu beginnen, Mr. Clinton wird die nächsten drei Stunden sonst nicht überleben..."
Doktor Basani überlegte kurz...
...und tröstete sich dann mit der Tatsache, dass er bei der Untersuchung von Mr. Clinton nebenbei bei sämtlichen Mitgliedern des "Times-Clubs" irgendeine Art von unangenehmer Erkrankung gescannt hatte, die allesamt im 21.
Jahrhundert nicht leicht heilbar waren...
Sie würden Schmerzen leiden, auch ohne ihn. Einige schon sehr bald.
Zufrieden lächelnd begann das MHB mit der Behandlung des "Ex-Präsidenten".
Zwischendurch lenkte er die neugierigen Umstehenden mit beiläufigen Nachfragen ab, teils aus Neugier, teils, damit sie nicht allzu viel über die medizinischen Praktiken des 24. Jahrhunderts bewusst mitbekommen konnten:
"Wie haben Sie mich eigentlich in dieser großen Stadt gefunden?"
"Nun, Doktor, wir wussten nicht, ob das T-Shirt, das wir Ihnen anzogen, Sie in unser Büro locken würde. Deshalb unterschrieben wir die Nachricht an Sie in der Zukunft mit dem Namen ,Starbucks'. Wir hofften, dass Sie in der Stadt bei einem der Starbucks-Shops nachfragen würden, keine Firma hat mehr Filialen in dieser Stadt. Deshalb hat die gegenwärtige Regierung auch ein Augenscannregistrierungssystem in alle Starbucks-Eingangstüren eingebaut, vielleicht haben Sie den kurzen roten Lichtblitz bemerkt. Auch Terroristen trinken mal Kaffee, sagt die Regierung..."
Basani sparte sich die Energie für einen skeptischen Seitenblick, so ganz langsam ging seinem mobilen Emitter sowieso die Energie aus. Und er brauchte sie gleich...
Das MHB beschleunigte die Behandlung, er musste weg aus diesem paranoiden Land und dieser seltsamen Zeit.
"...in das System eingehackt", erklärte Dr. Menck gerade weiter, "und konnten so erkennen, wenn Sie einen der Starbucks-Kaffeeshops in der Stadt betreten würden. Es hat funktioniert..."
Dr. Mencks Versuch, bescheiden zu klingen, ging gründlich schief.. Aber Basani gönnte ihm nicht den Triumph eines zustimmenden Lächelns. Stattdessen bohrte er nach, während seine Hände über Mr. Clinton flitzten.
"Wenn dieses Starbucks eine Kaffeefirma sein soll, wieso riecht der Kaffee dort so ekelerregend, magenwandzerfressend, süß und ungesund?"
"Nun...äh...ja...es heißt, das wäre der einzig gute Kaffee in unser Stadt...
"
"Mein Gott...", Basani schlug imaginär die Hände über dem Kopf zusammen, während er sich das einzigartig betörende Aroma eines Nymphe Neroi'schen Schlunzkaffee's in den Arbeitsspeicher rief...
Die Doktoren ringsum guckten verlegen zur Seite und wollten sich wieder auf Basanis Behandlung konzentrieren, so dass das MHB schnell weiter fragte:
"Wieso rufen die Leute hier auf den Straßen eigentlich ,Flip Flop'?"
"Es geht um einen Präsidentschaftskandidaten, der angeblich mal hü mal hott sagt."
"Ah. Und was für ein Ernährungsversuch läuft da eigentlich in Ihrem Hause??"
"Ich verstehe nicht..."
"Der Eingang mit dem ,M'..."
Minutenlange Erklärungen folgten, denen Basani zwar nicht folgte, aber Hauptsache, die historischen Mediziner waren abgelenkt.
Schließlich verpasste er Mr. Clinton die letzte Injektion und sah zufrieden
auf:
"Etwas langweiliger als vorher, aber dafür gesund. Und ein treuer Ehemann, in Zukunft..."
Die Doktoren um Dr. Menck untersuchten die Werte ihres Ex-Präsidenten und strahlten Basani dann dankbar an.
"Er ist wirklich gesund!", tuschelten sie durcheinander, "ein Wunder!"
"Was sagen wir nur der Presse?"
"Vielleicht eine ,Bypassoperation'?"
"Gute Idee...Ich geb heute abend gleich die Ankündigung raus."
"Doktor,", wandte sich Dr. Menck direkt an Basani, "ich kann Ihnen gar nicht sagen..."
"Dann tun Sie's auch nicht.", unterbrach ihn das MHB, "Wo ist mein Sohn?"
"Wie gesagt, Doktor, in drei Stunden..."
"Das trifft sich gut!"
"Wie meinen Sie das, Doktor Basani?"
"Ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen...."
"Darf ich fragen, worum es geht, Doktor Basani?"
"Oh, das ist nicht nötig. Sie kriegen es als erster mit!!!"
"Doktor, was tun Sie????"
Mit blitzschnellen Bewegungen war aus dem zweihändigen MHB ein dreizehnhändiges geworden, die frisch generierten holographischen Arme schnappten sich 13 heimlich bereitgestellte Hyposprays und versenkten sie in den Hälsen der Anwesenden.
Ein paar Schreckensschreie und Zu-Boden-plumps-Geräusche später stand Basani - wieder mit zwei Händen, deutlich geschwächtem Emitter, aber glücklich - zwischen den Gelähmten und hielt eine kurze Ansprache:
"Was Sie gerade spüren, ist der Anfang einer normalen medizinischen Standarduntersuchung bei uns im 24, Jahrhundert. Keine Sorge, das Verbrennen der Haut ist nur so ein Gefühl, ihre Beine sind noch da und der Herzstillstand geht meistens vorbei."
Vielstimmiges Röcheln, Atemaussetzer und Unappetitlicheres füllte die kurze Stille.
"Sollten Sie noch einmal auf die ach so unkomplizierte kleine Idee kommen, einen Doktor aus der Zukunft zu sich zu holen, oder auch irgendwie sonst in der Zeitlinie herum manipulieren ...wird Ihnen auch die Medizin des 30.
Jahrhunderts nicht gegen ihre Schmerzen helfen!!"
Die Hautfarben ringsum spielten langsam ins ziemlich ungesunde.
"Außerdem, werde ich mir persönlich die Zeit nehmen, Ihre Urururururururenkel medizinisch zu betreuen. Und natürlich werde ich Ihren Nachfahren noch erklären, welche Ihrer Vorfahren für ihren schmerzvollen Tod verantwortlich sind. Soviel Zeit muss sein..."
Augen quollen heraus und Körper zitterten.
Basani liess das Hypospray noch drei quälende Sekunden lang wirken, dann verteilte er reihum ein linderndes Hypospray und setzte ein fröhliches Lächeln auf.
"Sehr schön. Da dies nun alles geklärt ist - und wir noch etwas Zeit haben, brauche ich einen guten Kaffee..."
---47TH STREET
Tatsächlich, schon an der zweiten Querstrasse vom Hospital aus stieß das MHB wieder auf einen Starbucks-Shop - auf der gegenüberliegenden Straßenseite blinkte ebenfalls ein Schild und eine Straßenecke weiter noch eins...
Basani sah unschlüssig hin und her und wollte gerade in den erstbesten Shop eintreten, als ihm eine Gestalt vor dem entferntesten der drei Geschäfte auffiel. Eine Frau in mittleren Jahren, mit dunklen Haaren und einer "Starbucks"-Schürze saß auf einem Feuermelder neben dem Shopeingang, in der Hand eine der Kaffeeattrappen ihres Hauses, die Frau las unaufmerksam in einer "Zeitung" (wie Dr. Menck es genannt hatte...) Doch das war es nicht, was die Aufmerksamkeit von Basanis Optikrezeptoren gefesselt hatte.
Mit schnellen Schritten eilte er über die Strasse, durch einige gelbe Autos und pfeifende Polizisten hindurch, die ihm dafür mit stoischer Ruhe einen Strafzettel in die Hand drückten, während Basani schon mit der Unbekannten
sprach:
"Verzeihen Sie, arbeiten Sie hier??", fragte er sanft.
"Äh...ja, warum? Kann ich Ihnen helfen?", antwortete sie. Ihre Augen sahen müde und ausgebrannt aus. Doch etwas in ihnen leuchtete.
Basanis Emotionsroutinen machten sowieso schon Überstunden, aber diese Begegnung strapazierte sie noch einmal aufs Äußerste. Äußerlich ruhig lächelte er.
"Entschuldigen Sie, Sie kennen mich nicht, ich weiß. Und ich kann es Ihnen nicht erklären. Aber ich..."
Basani überlegte fieberhaft, was er tun konnte. Er blickte unsicher in die Augen der Frau, auf ihre Schürze, ihre fragend gekräuselte Stirn. Was konnte er tun? Ohne die Zeit zu ändern?
"Was haben Sie denn, Sir. Kennen Sie mich?"
"Nein.", log Basani, zumindest teilweise. Und dann kam ihm eine Idee.
"Aber Sie sehen müde aus. Ich habe sie beobachtet, Ihre Arbeit ist sehr hart, nicht wahr?"
"Manchmal ja...", sagte die Frau halb zurückhaltend halb seufzend.
"Hören Sie, darf ich Ihnen etwas aufschreiben?"
"Was soll das denn werden, Mr.?", lächelte sie spitzbübisch, offensichtlich auf einer falschen Fährte.
"Hören Sie, ich kann es Ihnen nicht genau erklären. Sagen wir einfach, ich hätte jemanden verloren, der Ihnen sehr ähnlich ist. Und ich möchte deshalb etwas für Sie tun! Hier..."
Basani hob ein Stück Papier vom Bürgersteig auf, beschimpfte einen Passanten, der ihm darauf hin bereitwillig einen Stift lieh und schrieb dann hastig einige Zeilen auf das kleine Blatt.
Dann faltete er es zusammen und gab es der Frau.
"Öffnen Sie es erst, wenn Sie Ihre Arbeit nicht mehr aushalten!! Und auf jeden Fall erst, wenn ich weg bin. Und sagen Sie niemanden etwas über den Inhalt, außer vielleicht Ihrer späteren Familie..."
"Wann gehen Sie denn...?", fragte sie halb völlig verwirrt, halb seltsam fasziniert von dem offensichtlich verrückten Fremden. Ihre Augen ruhten allerdings auf Basani Gesicht, so als wollte sie es sich genau einprägen...
"Ich verlasse die Stadt in zwei Stunden.", erklärte Basani und blickte ein letztes Mal in die Augen der Frau. Dunkle, klare, leuchtende Augen, genau wie die der einzigen Frau, die er je geliebt hatte.
Die Augen von Nymphe Neroi...
Basani registrierte, wie sein Emotionsprogramm abzustürzen begann. Schnell wand er sich ab und flüchtete in die Menge der abendlichen Passanten.
Die Frau blickte ihm lange nach, dann faltete sie das Papier auf:
"Bauen Sie sich ein eigenes Geschäft auf!!", stand dort gekritzelt, "Dieses Geheimrezept wird Ihnen helfen: SCHLUNZKAFFEE...."
---MADISON SQUARE GARDEN
"Also, wo ist er?", schrie Basani, der ohrenbetäubende Lärm in der riesigen Halle verschluckte fast alle Worte. Wo genau man ihn hier her geführt hatte, war ihm nicht klar, aber ihn interessierte ja auch nur noch sein Sohn.
Gerade schwenkten wieder tausende frenetische Menschen blau-rot-weisse Fahnen und skandierten "FOUR MORE YEARS!!!" Die Redner auf der Bühne konnten sie damit allerdings nicht meinen. Denn den diversen Greisen, die da unten mit verkniffenen Augen irgendetwas von "Wir werden siegen!", "Die Gefahr lauert überall!", "Saddam ist eine Massenvernichtungswaffe!" in die Sektengemeinde riefen, denen gab Basani kaum noch vier Jahre...
"Hier entlang.", schrie Dr. Menck Basani ins Ohr. Sie eilten hinunter, am Rande der euphorischen Menschenmassen, die gerade reihenweise buntes Schuhwerk in die Luft streckten.
"FLIP FLOP!"
"FLIP FLOP!"
Basani beschloss, zurück in seinem Jahrhundert mal die Selbstmordrate in diesem furchtbaren Zeitalter nachzuschlagen. Aber das hatte Zeit, buchstäblich.
Dr. Menck zog Basani in eine Art Kühllager hinein. Zwischen dutzenden Gasflaschen und diversen Plastiktüten, in denen Reste von blauen, roten und weissen Gummiballons lagen, ging es hindurch in einen Gang, vorbei an verschiedenen - nur recht lautstark zu betäubenden NYPD-Beamten - in weitere Kühlräume und schließlich vor eine schwere, angelehnte Tür, aus der das Wasser geschmolzenen Eises in den Raum herein lief. Basani schwante schon übles - sein Sohn tiefgekühlt zwischengelagert!! Doch der entsetzte Blick von Dr. Menck machte ihm noch mehr Sorgen:
"Er ist weg!", rief Dr. Menck entgeistert.
Das MHB fühlte, wie sein Emotionschip die letzten Energiereserven seines Emitters fraß und schaltete ihn vorsorglich aus:
"Wo befindet sich mein Nachkomme, Dr. Menck?", kam es nun ganz sachlich über die Lippen des MHB.
"Er ist weg!", antwortete Menck und es klang ehrlich überrascht und bestürzt. "Er war hier! In der Klimaanlagenzentrale, in Stasis."
"Wieso wählten Sie diesen Ort?", kam Basanis neutrale Nachfrage.
"Weil kein Ort in New York zur Zeit besser bewacht ist, als dieses Gebäude, wegen des Parteitages der Präsidentenpartei!"
"Wo könnte mein Nachkomme jetzt sein?", brachte das MHB Dr. Menck auf konstruktivere Gedanken.
"Richtig, ich habe einen Pieper!"
Dr. Menck zog ein kleines Gerät aus der Tasche und drückte eine Taste. Es war nichts zu hören, ausser dem undeutlichen Lärm der Massen über ihnen.
"Kommen Sie...", schlug Menck vor, "er muss noch im Gebäude sein, er ist nur ein Kind..."
Basani folgte dem Doktor, der immer wieder auf seinen "Pieper" drückte.
Sie wanderten zurück durch die Gänge, an altbekannten bewusstlosen NYPD-Beamten vorbei, Dr. Menck drückte und drückte, doch es kam keine Antwort.
Schließlich standen sie wieder in der Haupthalle. Und plötzlich leuchteten Dr. Mencks Augen auf. Zwar war in diesem Lärm ("GIRLIE MAN!!", "GIRLIE MAN!!
") nie und nimmer ein einzelnes Piepen auszumachen, doch auf der Anzeige des kleinen "Piepers" leuchtete ein Signal.
Basani riss dem Doktor das Gerät aus der Hand und folgte dem Signal.
Die Menge jubelte und tobte jetzt noch mehr, die Bühne war in die Mitte verschoben worden und immerhin stand dort jetzt ein etwas jüngerer Mann, allerdings mit leicht dümmlichem Gesichtsausdruck.
Basani beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, wie er in jedem zweiten Satz das Wort "Wohrontärrorissm" und eine seltsame Zahlenkombination ("9 / 11") unterbrachte, die Augen des Redners pendelten dabei zwischen gutmütig, trauherzig, jetzt-guck-ich-aber-ernst! und gescheiterter Selbstironie.
Offenbar war das ein Aspirant, der bei diesem Sektenritual in das schwierige Reden vor Publikum eingeführt wurde...Die Sektengemeinde zumindest klatschte dem Laienrhetoriker übertrieben begeistert zu, wohl als Aufmunterung.
Basani konzentrierte sich wieder auf den "Pieper" und plötzlich dämmerte ihm, dass sein Weg gefährlich direkt auf die Mitte der Bühne führte...Das Signal kam von irgendwo dort - von der Mitte der Rednerbühne!!
Dort konnte er natürlich unmöglich unbemerkt hin...
Basani täuschte ein Stolpern in der Menge vor, deaktivierte seine Lichtreflektorprozessoren und rempelte sich nun unsichtbar zur Bühne vor, vorbei an einem streng guckenden Ring aus Bodybuildern.
"We live in danger!", rief der - immerhin durchaus bemühte - junge Mann gerade der Menge zu. Basani wanderte derweil unsichtbar (besser gesagt,
lichtdurchlässig!) um ihn herum und
suchte nach der Stelle mit dem stärksten "Pieper"-Signal.
Zufällig warf er dabei einen Blick auf das Skript des Redeanfängers und stellte fest, dass dieser in seiner Aufregung offenbar nicht alles ganz korrekt ablas. Basani hoffte, dass diese Rede nicht abgebrochen werden musste, er brauchte noch etwas Zeit. Der tapfere Bursche brauchte etwas Unterstützung! Basani kannte das Gefühl, unsicher vor einer großen Masse zu stehen und zu versagen - von seinen täglichen Patientenvisiten...
Hilfsbereit flüsterte Basani dem (zumindest gut geschminkten) Redner einige Berichtigungen zu, die der rührende, angehende Redner auch ohne Zögern annahm. Wahrscheinlich glaubte er, sie kamen aus dem versteckten Knopf in seinem Ohr.
"We have to fight in Iran!", las der Mann, und Basani korrigierte, "Iraq!", was der Mann schnell wiederholte. "...in Iraq."
"We have great aliens!" "alliances." ".alliances!"
"And if all of you support us in the wohronntärrorissm.", ".?"
"God will guess America!" "BLESS!" "God bless Am.", die Wiederholung ging im endgültigen Jubelritual der Massen unten, gleichzeitig stürzten diverse tränenüberströmte Familienmitglieder des Rednerprüflings und etwa 100.000 blau-weiss-rote Luftballons auf die Bühne.
Basani sah seine Chance. Er hastete zwischen Ballons und heulenden Töchtern ("Oh DAD!!!!!") vorwärts, und trat dem beklatschten Redner unsichtbar aber hart auf die Füße, dem daraufhin Tränen in die Augen traten. Sofort blitzte es von allen Seiten, Kameraobjektive wurden herumgerissen und frenetische Reporter schrien: "Oh my god!! He's really crying!! God bless him!"
Aber Basani hatte sein Ziel erreicht, der Mann hatte das Rednerpult verlassen, Basani riss inmitten des Trubels den kleinen Holzschrank auf und ...
blickte in die Augen seines Sohnes!
Die zusammengekauerte Gestalt sagte kein Wort, aber sie atmete. Und das kurze, ERKENNENDE!...Aufleuchten der Augen des Jungen ... es brannte sich innerhalb einer Mikrosekunde unauslöschbar in Basanis Unterbewusstsein.
MHB riss die zusammengekauerte kleine Gestalt aus dem Pult, verbarg sie unter seinem lichtdurchlässigen Körper und hechtete davon...
"FOUR MORE YEARS!!", war das letzte was er hörte, bevor er Dr. Menck erreichte.
10 Minuten später saßen sie im gelben "Auto" eines offenbar mit Dr. Menck bekannten Steuerberaters, Basani versorgte die schwache Gestalt neben ihm.
Dr. Menck warf dem "Vater" ab und zu einen verständnisvollen und irgendwie schuldbewussten Blick zu. Allerdings lag auch Furcht in seinen Augen. Seit Basanis Angriff auf ihn und seine Clubmitglieder war die Stimmung zwischen Basani und den Doktoren deutlich abgekühlt.
"Wir sind gleich da.", sagte Menck, obwohl seine Augen mehr sagen wollten.
"Es wird nicht mehr lange dauern..."
Basani antwortete nicht, sondern behandelte nur - ganz professionell - die Unterkühlung seines Nachkommens. Seine Hände taten was sie am besten konnten. Geschickt. Ruhig. Ohne Teilnahme. Effektiv. Zum Glück war sein Emotionschip noch immer ausgeschaltet...
---
Eine halbe Stunde - und nur wenige dürre Worte später - standen Dr. Menck und einige seiner Wissenschaftlerinnen und Doktoren um den metallischen Wagen herum, der das MHB und seinen Nachkommen in die Umlaufbahn des unterirdischen Teilchenbeschleunigers bringen würde.
"Doktor Basani...", brachte Dr. Menck hervor, "noch ein mal: Danke!"
"Ihr Dank ist unangebracht.", erwiderte Basani, emotionslos. Doch die vorwurfsvolle Bedeutung dieser Aussage klang trotzdem durch. Wie einen technischen Gegenstand hielt Basani sein "Kind" in den Händen. Ohne ein weiteres Wort liess er sich auf dem Wagen fixieren. Das Verdeck schloss sich, das Gesicht von Dr. Menck wollte noch etwas sagen, doch Basani brach den Augenkontakt ab.
Der seltsame Wagen beschleunigte...trat in den Magnetkreislauf ein, nahm immer mehr Geschwindigkeit auf und verschwand nach einigen tausend Umdrehungen schliesslich im Nichts...
---USS MIRAGE / KRANKENSTATION
***Sternzeit 200409.20***
Doktor Basani sah sich in der fast leeren Krankenstation um.
Bis auf die Notbesatzung war noch niemand vom medizinischen Personal aus dem Urlaub zurück. Die zwei derzeitigen Patienten waren gut versorgt, der Schichtplan für den Wiederbeginn des offiziellen Dienstes war fertig ...und auch sonst hatte er alles erledigt.
Sein Sohn war auf dem Rückweg zur Erde, eins der Schiffe am Rande des Wurmloches hatte seine Absichten geändert und für eine sichere Passage garantiert.
Es war keine lange oder schwierige Abschiedsszene gewesen, zumindest nicht für Basani, denn klugerweise hatte er seinen Emotionschip seit seinem Zeitsprung noch immer nicht wieder aktiviert. Er hatte einfach zu viel zu tun gehabt, zum Beispiel einen Urlaubsbericht zu verfassen. Da konnte er die Emotionen, die sein Aufenthalt im 21. Jahrhundert möglicherweise nachwirkend verursachte nicht gut gebrauchen. Und auch so ein Dienstplan musste mit kühlem Kopf verfasst werden!!
Doch jetzt war Zeit. Und seine Rückkehr war ja auch schon wieder einige Zeit her. Es sollte also keine Probleme geben.
Basani betrat das leere Nebenlabor, setzte sich auf eine der verlassenen Mediliegen und aktivierte seinen Emotionschip...
Im selben kam eine medizinische Crewman durchdie Tür, vor sich her schob sie eine manngsrosse Goldstatue, die eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Steuermann der Mirage hatte.
Die Crewman schob die Statue in die Mitte des Raums und erblickte dann erst Doktor Basani.
Vor Schreck weiteten sich ihre Augen und der Gold-Hajo glitt ihr aus den Händen.
Es schepperte gehörig und in dem Haufen zersplitterten Goldschuttes bewegte sich etwas. Und vor allem fluchte es!! Unflätig!
Die Crewman starrte noch immer auf Doktor Basani, der tränenüberströmt und mit weit aufgerissenem Mund - lautlos schreiend - auf dem Boden lag! Sein holographischer Körper war schweißüberströmt und zitterte...
"Was denn nu wieder los?", rappelte sich Hajo endgültig auf.
Im selben Moment blinzelten die Augen des MHB's, blitzschnell verschwanden die Tränen, der Mund des Doktors schloss sich, das Zittern war verschwunden, Basani erhob sich, seine blaue Uniform war wieder glatt.
"Guten Tag, Mr. tom Broek.", kam es - emotionslos - "wie war IHR Urlaub?"
Ein Webangebot von der Crew der USS Mirage NCC 24866